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Ines Geipel, Jahrgang 1960, ist Autorin und Hochschulprofessorin. Vor allem aber ist sie auch eine Person, die sich als ehemalige DDR-Bürgerin seit langem für die Aufarbeitung des Regimes und des Lebens in der DDR einsetzt, etwa indem sie das Archiv der unterdrückten Literatur der DDR mitgegründet hat. Als ehemalige Leistungssportlerin in der DDR engagiert sie sich außerdem für die Aufarbeitung des Dopings im DDR-Leistungssport. "Fabelland" ist nicht ihr erstes Buch zum Thema DDR - "Umkämpfte Zone" liegt tatsächlich noch ungelesen bei mir. Aber angesichts der Biografie von Geipel wird bereits deutlich, dass eine Auseinandersetzung mit den Erinnerungen an die DDR - und diese steht im Zentrum des Buchs - aus ihrer Feder sehr spannend sein könnte.
Ich hatte zunächst eher ein "normales" Sachbuch erwartet, weshalb ich vom Stil des Buchs überrascht wurde. Denn neben sehr faktenlastigen Passagen enthält "Fabelland" vor allem auch persönliche Rückblicke und Reflexionen, Erinnerungen an ihr eigenes Erleben des DDR-Alltags und des Mauerfalls. Und davon ausgehend klinkt sich Geipel in die seit einigen Jahren geführte geschichtspolitische Debatte um die Deutung der DDR zur Erklärung heutiger Entwicklungen in den neuen Bundesländern ein. Dabei kritisiert sie sowohl pauschalisierende Vorwürfe an "den "Westen" à la Oschmann als auch Positionen, die die Unterschiede durch das Leben in zwei verschiedenen Systemen und im Fall der ehemaligen DDR in zwei aufeinanderfolgenden Diktaturen relativieren oder beschweigen.
Sie macht deutlich, wie nach der Wende die Hoffnung auf Freiheit und Sicherheit für sehr viele Menschen ins Gegenteil kippte, wie tief die DDR-Sozialisation und -Propaganda wirkten und stellt dar, wie die Frustration über eine an vielen Stellen gescheiterte Wiedervereinigung nun stellenweise zur Idealisierung eines totalitären Regimes (Stichwort Familienpolitik, Emanzipation etc.) gewendet wird. Sie argumentiert sehr nachvollziehbar, dass die Sozialisation in einem undemokratischen System natürlich ihre Spuren hinterlassen hat. Und sie zieht Linien, bei denen deutlich wird, wie wenig "wir" in Deutschland eigentlich teilweise über die ehemalige DDR wissen. So forscht sie auch über Am0kläufe und auch "Fabelland" widmet sich dem Thema Gewalt. Den ersten Am0klauf in Deutschland im Jahr 2003 in Erfurt stellt Geipel dabei in einen direkten Nachwendekontext. Das hatte ich bis dahin schlicht noch nie gehört und ich war erst verwundert, bis ich das dann kurz darauf bei Anne Rabe ebenso fand und gemerkt habe, dass da offenbar sehr nachvollziehbare Deutungsansätze existieren, die in der aufgeladenen "Killerspiel"-Debatte kaum Raum hatten.
Teilweise wird an vielen Stellen deutlich, dass es sich bei dem Thema der Systemkonkurrenz um eine sehr innerdeutsche Diskussion handelt - in dem Sinn, dass man schon als westdeutsch sozialisierter Mensch wahnsinnig viele Lücken hat, aber gleichzeitig trotzdem an vielen Stellen ein abstrakterer geteilter Erfahrungsraum besteht.
Was meine ich damit? Ein nicht aus Deutschland stammender Kollege von mir hat das Buch zufällig zeitgleich mit mir gelesen und wir sprachen darüber. Er hatte teilweise große Schwierigkeiten, Geipels Gedanken zu folgen, weil sie viele Begriffe, Ereignisse etc. aufruft, die in einem kulturellen Gedächtnis der Bundesrepublik doch irgendwie genug verankert sind, um eine Basis fürs Verständnis zu schaffen. Wenn man hier nicht sozialisiert ist, dann fehlt ein bestimmtes Wissen, wodurch es teilweise schwer werden kann, Geipel zu folgen. Denn da das Buch teilweise Sachbuch, teilweise Reflexion und Erinnerung ist, liegt der Fokus nicht auf der didaktischen Wissensvermittlung. Das macht es an vielen Stellen wirklich spannend und zeigt, dass Geipel hier einen besonderen Zugang wählt. Aber wenn sie in diesem Kontext mit Namen und ostdeutschen Nachwende-Karrieren aus der Germanistik und Wissenschaftslandschaft hantiert, um ihr Argument dann muss man sich darauf einstellen, einige davon nicht (mehr) zu kennen, zumindest wenn man wie ich erst nach der Wende geboren ist. Auch das finde ich aber aus der Metaperspektive super spannend. So hat mich denn auch die Lektüre von Geipel dazu bewogen, direkt noch tiefer ins Thema einzusteigen und weitere Bücher dazu zu lesen.
Deshalb lautet mein Fazit: "Fabelland" ist vermutlich anders, als man es erwartet und changiert zwischen Sachbuch und literarischer Auseinandersetzung. In dieser Hybridität könnte es Menschen enttäuschen, die entweder einen faktenlastigen Deep Dive oder emotionale Memoiren lesen möchten. Wer sich aber für einen Mix aus beidem begeistern kann, wird aus "Fabelland" vermutlich einiges mitnehmen. In mir arbeitet das Buch jedenfalls immer noch.
Der Originalbeitrag ist auf Laila Noemi Riedmillers Instagramkanal nachzulesen.
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