Die Schlange im Wolfspelz -

Die Schlange im Wolfspelz

Das Geheimnis großer Literatur

Verlag

Rowohlt

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Über das Buch

Was ist das Geheimnis des guten Stils, wie wird aus Sprache Literatur? Dieser Frage geht Michael Maar in seinem Haupt- und Lebenswerk nach, für das er vierzig Jahre lang gelesen hat. Was ist Manier, was ist Jargon, und in welche Fehlerfallen tappen fast alle? Wie müssen die Elementarteilchen zusammenspielen für den perfekten Prosasatz? In fünfzig Porträts entfaltet er eine Geschichte der deutschen Literatur.

Jury­begründung

Ein Zirkeltraining der Sprache, ein Boot Camp des Geistes, eine Schule der Achtsamkeit: Michael Maar hat mit „Die Schlange im Wolfspelz“ einen mit vielen Beispielen aus der deutschsprachigen Literatur illustrierten Großessay über guten Stil geschrieben. Maars Spezialität: das Rühmen. Ob er Marie Ebner-Eschenbach „wegen des unverklärenden, antiidyllischen Naturalismus, wegen der Schärfe ihrer Psychologie und der ihres Gehörs“ preist oder Theodor Fontanes Fähigkeit beklatscht, „die Welt ganz im Gespräch aufgehen zu lassen“, Maar analysiert und argumentiert überzeugend. Ein Buch, mit dem man schreiben und denken lernen kann.

Michael Maar

Michael Maar, geboren 1960, ist Germanist, Schriftsteller und Literaturkritiker. Bekannt wurde er durch „Geister und Kunst. Neuigkeiten aus dem Zauberberg“ (1995), für das er den Johann-Heinrich-Merck-Preis erhielt. 2002 wurde er in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen, 2008 in die Bayerische Akademie der Schönen Künste, 2010 bekam er den Heinrich-Mann-Preis verliehen. Zuletzt sind von ihm erschienen: „Heute bedeckt und kühl. Große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf" (2013) und „Tamburinis Buckel. Meister von heute“ (2014).

Lese­probe


Was ist guter Stil? Und was hat guter Stil mit großer Literatur zu tun? Alles, oder fast alles. Nur gut geschriebene Bücher würden älter als fünfzig Jahre, bemerkt lakonisch der Stilkundler Ludwig Reiners. Aber was heißt: gut geschrieben? Was ist das Geheimnis des guten Schreibens, des guten Stils?

Den guten Stil kann es so wenig geben wie die eine schöne Handschrift. Wenn ein Mensch schön ist, dann unverwechselbar auf je eigene Art, auch das Wärzchen über der Lippe kann dazu beitragen und mindert jedenfalls die Schönheit nicht. Welche Regel sollte man über Schönheit aufstellen, sei’s die physische, sei’s die des Stils?

Schlechten Stil zu beschreiben ist relativ leicht. Man kann den Finger darauf legen, was platt ist, wo es holpert, wo es schief ist, wo grau und abgenutzt.

Viel schwieriger ist es beim guten Stil. Jeder Stil für sich ist eigen, eben das ist seine Definition. Eine generelle Regel verbietet sich. Die originellste Bestimmung stammt dabei von Kafka. Der Stil, die Individualität der Schriftsteller bestehe darin, daß jeder auf ganz besondere Weise sein Schlechtes verdecke.

Stilgefühl ist entfernt verwandt mit Takt. Historischer Takt, eine Prägung Adornos, kann erst entstehen, wenn es keine Regelpoetik mehr gibt. Worauf das Stil- und Taktgefühl sich dann stützt, ist nichts Vorgegebenes, es ist ein Gefühl, ein Gespür für etwas nicht Meßbares, aber doch Reales.

Was Alfred Polgar über das Kunstwerk im Allgemeinen sagt, trifft darum im Besonderen auf literarische Größe und Stil: sein Entscheidendes liegt im Nicht-mit-Sinnen-Wahrnehmbaren, in dem, was sich nicht wägen, messen, spiegeln, isolieren läßt.

Es folgt daraus, daß hier nichts zu messen und also auch nichts zu beweisen sein wird. Alles ist Geschmacksurteil. Der eine mag die Gurke, der andere mag die Tochter des Gärtners, wie man in Polen sagt.

In Königsberg hätte man daraufhin allerdings eingewendet: So einfach ist die Sache auch wieder nicht. Um einmal (und damit aber auch schon das letzte Mal) das große Geschütz aufzufahren: In der Kritik der Urteilskraft schreibt Kant über das ewige Rätsel des Geschmacksurteils, dieses Urteil sei zwar nicht beweisbar, aber auch nicht abweisbar. Denn jeder ästhetisch von etwas Überzeugte sinnt an, sein subjektives Geschmacksurteil als allgemeingültig zu akzeptieren. Nicht mehr als solches Ansinnen kann hier im folgenden geschehen.

Hugo von Hofmannsthal hat das Geheimnis des Stils in ein Bild gefaßt. Der Stilist, nach Hofmannsthal:

Wie ein Seiltänzer geht er vor unseren Augen auf einem dünnen Seil, das von Kirchturm zu Kirchturm gespannt ist; die Schrecknisse des Abgrundes, in den er jeden Augenblick stürzen könnte, scheinen für ihn nicht da, und die plumpe Schwerkraft, die uns alle niederzieht, scheint an seinem Körper machtlos. Mit Entzücken folgen wir seinem Schritt, mit um so höherem, je mehr es scheint, als ginge er auf bloßer Erde. So wie dieser wandelt, genauso läuft die Feder des guten Schriftstellers. Ihr Gang, der uns entzückt und der so einzigartig ist wie eine menschliche Physiognomie, ist die Balance eines Schreitenden, der seinen Weg verfolgt, unbeirrbar durch die Schrecknisse und Anziehungskräfte einer Welt, und eine schöne Sprache ist die Offenbarung eines unter den erstaunlichsten Umständen, unter einer Vielheit von Drohungen, Verführungen und Anfechtungen aller Art bewahrten inneren Gleichgewichtes.

Das Gleichgewicht, die Balance – es entspricht dem, was man in alten Stilschulen das Aptum nannte. Die zweite Inschrift des Tempels von Delphi lautete «Alles in Maßen». Ein Laster links, ein Laster rechts, die Tugend in der Mitten. Die Tugend ist das rechte Maß. Jede Tugend, auch die stilistische, balanciert im labilen Gleichgewicht zwischen Extremen. Das Aptum fordert das Angemessene im Verhältnis zum Gegenstand: Über Tragisches ist nicht flapsig zu reden, über Triviales nicht pathetisch.

Weil Stil mit allem verbunden ist, in alle Lebensadern dringt, sich überall zeigt und von überall gespeist wird, soll hier auch das Schreiben nicht strikt vom Biographischen getrennt werden. Die Trennung ist künstlich, man versteht von Stifters Stil nicht viel, wenn man nichts von seinem Leben weiß. Wie die Prosa sich zum Leben verhält, wirkt bis ins Adjektiv auf sie zurück. Stil und Charakter sind nicht voneinander zu scheiden, wer schreibt wie Heinrich Mann, muß Heinrich Mann sein, so schneidend, pompös und windschief und dann und wann grandios. Vielleicht nur bei den Allergrößten trennt es sich ab, das reine Blatt der Prosa von den Blättern des Lebens, um nicht zu sagen, vom Lebensbaum.

Regel I: Man ist Stilist, oder man ist es nicht. Widerlegung der Regel: Wir finden bei Goethe ganz schwache Sätze und fänden nach eifrigem Bemühen selbst in den Sternstunden der Menschheit ein paar gute.

Regel II, modifiziert: Es gibt ein paar unfehlbare Stilisten. Schopenhauer, Hebel, Gottfried Keller, Kafka.

Hauptregel: Es gibt keine Regeln, jedenfalls kann man sie alle brechen. Aber man muß es können.


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