© Paula Winkler
Der Zugriff auf Zeit ist eine Frage von Macht und Freiheit. Heute wird die meiste Zeit der Erwerbsarbeit zugestanden, nur ökonomisch Verwertbares gilt als wertvoll. Zeit ist höchst ungerecht verteilt – der materielle Wohlstand hat sich nicht in Zeitwohlstand übersetzt. Teresa Bücker macht konkrete Vorschläge, wie eine moderne Zeitkultur aussehen kann.
Die Journalistin Teresa Bücker sucht nach dem Weg zu einer für alle Menschen gerechteren Gesellschaft. Weniger Zeit für Erwerbsarbeit aufzuwenden könnte dahin führen: maximal 20 Stunden in der Woche bei voller Bezahlung, gerechtere Aufteilung von Care-Arbeit, mehr Zeit für soziale Beziehungen. Und das nicht als individuelles, sondern als gesamtgesellschaftliches Ziel einer „fürsorglichen Demokratie“, die schon in der Familie beginnen müsste; dort, wo durch die Unvereinbarkeit von Arbeit und Haushalt vielfach noch immer der Kern des Problems liegt. Bücker entwickelt nachvollziehbar ein Modell für eine neue Zeitkultur und Zeitpolitik. Damit widmet sich ihr Buch einem Thema, das kein Zeitphänomen, sondern eine soziologische Grundsatzfrage betrifft – und fängt zugleich viele gesellschaftliche, politische und ökonomische Fragen unserer Zeit ein.
Teresa Bücker, Jahrgang 1984, ist Publizistin im Bereich Feminismus, Arbeit und Gesellschaft. Seit 2019 ist sie Kolumnistin des SZ-Magazins. Von 2014 bis 2019 war sie Chefredakteurin des feministischen Onlinemagazins EDITION F. Als Expertin wird sie regelmäßig zu Konferenzen und in politische Talk-Sendungen geladen.
Gespräch mit Hannes Leitlein bei ZEIT ONLINE (Bezahlschranke)
Gespräch mit Jana Luck bei Stern (Bezahlschranke)
Besprechung von Tobias Becker bei Spiegel Kultur (Bezahlschranke)
Teresa Bücker im ZDF-Mittagsmagazin
Die Lesung wird verschoben. Der Ausweichtermin wird demnächst bekanntgegeben.
15. Mai 2023, 19:00 Uhr, Die Laterne, Osnabrück
Vier nominierte Autor*innen besuchen vier Buchhandlungen. Teresa Bücker reist nach Osnabrück und spricht dort auf Einladung der Buchhandlung zur Heide über ihr Buch „Alle_Zeit“.
3. Juni 2023, 24. Lange Buchnacht in der Oranienstraße Berlin
14. Juni 2023, Infos folgen
15. Juni 2023, 19:30 Uhr, Salon vor Ort
22. Juni 2023, Kaminabend, Intersectoral School of Governance Baden-Württemberg, Stuttgart
26. Juni 2023, Zenner Weingarten im Treptower Park
29. Juni 2023, 19 Uhr, Lesung, bella donna e.V.
24. August 2023, Infos folgen
31. August 2023, Infos in Kürze bei kulturgruen-siegen.de
13. September, 19:30 Uhr, Kairos Blue, Niehler Str. 104
Warum empfinden wir, dass die Zeit niemals reicht? Können Menschen diesem Gefühl entkommen, wenn sie Zeit managen und ihren Alltag optimieren? Ist der gekonnte Umgang mit Zeit nur ein weiterer Skill, den man heute braucht?
Gesellschaftlicher Fortschritt wird oft an wachsendem Wohlstand und technologischer Innovation gemessen, Gerechtigkeit als Frage des Zugangs zu Macht und Geld ausgelegt. Doch das sind nur einige von vielen Dimensionen, die eine Gesellschaft prägen und den Alltag von Menschen formen. Ich möchte in diesem Buch aufzeigen, dass Zeit eine der zentralen Größen ist, deren Einfluss auf das Leben wir genauer hinterfragen sollten – sowohl in ihrer gesellschaftlichen als auch individuellen Wirkung –, und darauf basierend eine Vision einer neuen Zeitkultur entwickeln. Denn zu wenig Zeit zu haben, ist kein individuelles Problem, es ist gesellschaftlich erzeugt.
Der gegenwärtige Umgang mit Zeit strukturiert unser Leben, ohne zu berücksichtigen, ob diese Vorgaben auf alle passen. Sie tun es nicht: Sie führen zu Ungleichheiten, erhalten und verstärken sie. Die Möglichkeit, das Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, wird auch dadurch begrenzt, dass Menschen unterschiedlich frei über Zeit verfügen können. In einer Gesellschaft, in der Zeit als ökonomisches Gut verstanden wird, werden zudem die Bedürfnisse vieler verdrängt. Eine solche Zeitkultur bleibt eindimensional, sie kann oft sogar unglücklich oder auch krank machen. Wie würden Menschen ihre Zeit verbringen, wenn sie sich frei entscheiden könnten? Und was würde sich verändern, könnten sie es tun?
Es ist daher eine Frage der Gerechtigkeit, wie Zeit verteilt ist, wie sie genutzt werden kann, wie ihr Wert bemessen wird und wie sie erlebt wird. Menschen sind unterschiedlich zeitarm und unterschiedlich zeitsouverän, und das nicht zufällig, sondern als Ergebnis gesellschaftlicher Machtstrukturen. Deswegen muss im Zentrum dessen, was man Zeitpolitik nennen kann oder eine Vision für eine Zeitkultur sein könnte, nicht die Frage stehen, wie ein einzelner Mensch seine Zeit verbringt und wie er mehr davon haben kann, sondern wie Zeit unserer Gesellschaft eine Richtung gibt. Derzeit jedoch bestimmt die Haltung, dass die individuelle Anstrengung ausschlaggebend dafür sei, wie das eigene Leben verläuft, sowohl den politischen als auch den gesellschaftlichen Diskurs. Das müssen wir überwinden.
Mehr Zeit für alle entsteht nur mit Ideen für die gesamte Gesellschaft. Zeitgerechtigkeit ist keine Luxusfrage, sondern eine Frage demokratischer Rechte: Denn wenn nur einige wenige Zeit für Politik haben, führt unsere Zeitkultur zu Ausschlüssen und Diskriminierung. Kinder und Erwachsene, die mehrere Jahre in Geflüchteten-Camps verbringen, die in monatelangen Asylverfahren darauf warten, sich ein neues Zuhause aufbauen zu können, haben nicht den gleichen Zugang zu ihrer Lebenszeit wie Menschen, die in sicheren Verhältnissen geboren werden und darin leben. Der Umgang mit Zeit ist immer auch eine Frage von Macht.
Für die Entwicklung einer neuen Zeitkultur muss daher mehr passieren, als Zeitbudgets hier und da zu optimieren. Um Ideen zu entwickeln, wie wir leben möchten, müssen wir verstehen, wie Zeit uns selbst und das gesellschaftliche Zusammenleben prägt. Welche Rollen unsere Wurzeln in der Vergangenheit haben, wo unsere Verortung im Jetzt ist, wie sich der Blick auf die Zukunft gestaltet. Wir müssen hinterfragen, was wir bislang als selbstverständlich betrachtet haben, und neue und gerechtere Zeitkonzepte entwerfen. Müssen Menschen tatsächlich erst ein bestimmtes Alter erreichen, um volle Mitsprache bei Dingen zu haben, die sie betreffen? Ist es unveränderbar, dass wir Erwerbsarbeit ins Zentrum des Lebens stellen? Warum schieben wir die meiste freie Zeit in unseren letzten Lebensabschnitt? Warum bleiben Altersgruppen so häufig unter sich? Welche Verantwortung tragen Menschen im Hier und Jetzt für die Zeit, die nach ihnen kommt?
Wir brauchen einen positiven und politischen Begriff von Zeit – müssen heraus aus dem Gefühl, dass nie genug Zeit vorhanden ist und unsere Zeit nicht uns gehört. Hin zu dem Bewusstsein, dass nicht Zeit vorgibt, wie ein menschliches Leben verläuft, sondern wir mit Zeit gestalten können, wie wir leben wollen. Dass Zeit zwischen Menschen entsteht und es ein Mehr an Zeit geben wird, wenn wir uns stärker zusammentun. Eine neue Zeitkultur will allen Menschen mehr Freiheit bieten, nimmt das Leben breiter in den Blick als bisher und geht respektvoll mit der Zeit von anderen um – auch mit der Zeit der nächsten Generationen.
Ein neues Verständnis von Zeit als politisches Thema könnte schließlich auch Menschen ansprechen, die sich von progressiver Politik bislang weniger vertreten fühlen, weil sie ihre konkreten Alltagsprobleme nicht löst. Nicht jede_r will Karriere machen, Einfluss haben oder reich sein. Die übergeordneten großen Ziele der Zeitfrage müssen deshalb wieder und wieder in die kleinteiligen Lebensbereiche von Menschen übersetzt werden, um zeitbedingte Ungerechtigkeiten aufzulösen und so eine Basis für eine ressourcenschonende Wirtschaft zu schaffen.
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