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#sachbuchpreisbloggen: Jürgen Kaube „Hegels Welt“


#sachbuchpreisbloggen: Jürgen Kaube „Hegels Welt“

Stefan Diezmann, Poesierausch

Stefan Diezmann (Poesierausch) hat "Hegels Welt" gelesen und ist die Welt um 1800 eingetaucht:

Mit Hegels Welt präsentiert der FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube die erste deutschsprachige Hegel-Biografie seit Ewigkeiten. Der Titel ist für den Deutschen Sachbuchpreis 2021 nominiert und wurde uns als Patentitel zugelost. Ich habe ihn gelesen und mich tief in die Welt um 1800 vertieft.

Ich muss ja ganz deutlich gestehen, dass ich das Buch ohne die Zulosung nicht in die Hand genommen hätte. Ja, sicher: Hegel ist der vermutlich wichtigste deutsche Philosoph überhaupt, legte den Grundstein für das moderne Denken, nicht zuletzt für seinen Schüler Marx. Auch die Zeit, in der er lebte, war interessant. Die sogenannte Sattelzeit, der Übergang von der Renaissance zur Moderne Ende des 18. Jahrhunderts, mit reihenweise namhaften Protagonisten (ja, nicht gegendert, leider) ist eine Zeit voller unterschiedlicher Ideen und historischer Schwergewichter wie der Französischen Revolution, der Restauration und vielen anderen nationalen Bestrebungen, nicht zuletzt in Deutschland.

Aber Hegel?! Es hilft nichts, mitgehangen, mitgefangen – also habe ich das Buch gelesen. Ich will nicht verschweigen, dass ich mich stellenweise ziemlich gelangweilt habe und mir nicht nur einmal die Augen zugefallen sind. Aber am Ende steht ein ganz anderes Urteil. Hegels Welt ist gut recherchiert, in Anbetracht des riesigen Materials über die Zeit nicht ausufernd, zurückhaltend in seinen Urteilen, aber in keiner Weise seinen Gegenstand verherrlichend. Es ist die zumeist sehr fokussierte Auseinandersetzung mit seinem Protagonisten, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, dessen Leben und Werk im Kontext seiner Zeit. Eben Hegels Welt, nicht »Hegel: Die Biografie«.

Allen, die hier nun einen kurzen und knackigen Abriss von Hegels Leben und Werk im zeitgenössischen Kontext erwarten, sei gesagt: Der Wikipedia-Eintrag zu Hegel ist echt okay, da macht man nichts falsch. Kaubes Buch hat nicht knapp 600 Seiten, weil nicht viel los gewesen wäre. Es ist tatsächlich so, dass die eigentliche Biografie Hegels nur eine eher untergeordnete Rolle spielt. Das liegt zum einen an den eher spärlichen Lebenszeugnissen, die abseits einiger Briefwechsel und natürlich des Werks überliefert sind. Andererseits aber auch an Hegels überaus schlichter Lebensführung, zu der ganz einfach nicht allzu viel zu sagen ist. Die Grundlinien sowie die ein oder andere Anekdote gibt es natürlich trotzdem, was Hegels Welt angenehm auflockert.

Am Ende: Wer braucht eine ausufernde biografische Schilderung, wenn der schlichten Lebensführung ein Werk gegenübersteht, das die Philosophiegeschichte revolutionierte? In seinem Gesamtwerk stellt Hegel ein ziemlich geschlossenes System auf Grundlage der Geschichte auf, was zuvor in der Philosophie eher verpönt war. Sein Idealismus, der den gesamten deutschen Idealismus prägt, ist ein durch und durch historischer. Allerdings wird die Historie immer durch den Geist überwölbt: mal als eher kulturell gefasster Weltgeist gelesen, durchaus aber auch als Gott zu interpretieren. Im ständigen Rückbezug auf diesen Geist / Gott und der aus ihm entspringenden Vernunft der Welt ist die Deutung der Realität als Geistes-, also ideelle Welt zu sehen. Hier liegt auch der Unterschied zum Materialismus nach Hegel, der den Ursprung in die Materie legt und Hegel damit »vom Kopf auf die Füße stellt«, wie Marx selbst wohl gesagt hat.

Kaube geht es aber in Hegels Welt nicht um diese spätere Rezeption und Wirkgeschichte, die Hegels Idealismus noch haben wird. Es geht ihm darum, die Werke jedes für sich in seiner Entstehung, seinem Inhalt mitsamt der sehr zeitgenössischen Bezüge und der zeitgenössischen Rezeption darzustellen. Er maßt sich dabei nicht an, der größte Hegelforscher zu sein bzw. wirklich alles an Hegels Werk verstehen oder eindeutig interpretieren zu können. Das ist genau richtig, denn dies lässt auch den Druck von den Leser*innen ab, sodass man sich nicht immer gedrängt fühlt, alles komplett verstehen zu müssen. Auch gibt sich Kaube Mühe, Hegels Werke mit Beispielen aus der gegenwärtigen Lebenswelt zu veranschaulichen, was ebenfalls auflockert und manchmal sogar ganz witzig ist. Dabei weist Kaube immer wieder auf Widersprüche im Werk wie auch zwischen Werk und Leben von Hegel hin, was die Figur und sein Werk nahbarer macht.

Am Ende macht es sich Jürgen Kaube nicht leicht mit seinem Hegel, den Leser*innen auch nicht. Aber das wäre bei dem Thema eben auch höchst erstaunlich, wenn nicht gar verdächtig. Hegels Welt ist Arbeit, ohne Frage, aber eine, die sich lohnt: Es erzeugt an lebendiges Bild der (preußischen) Welt zwischen 1770 und 1831, der für heutige Verhältnisse recht kurzen Lebensspanne Hegels, und macht seinen Protagonisten darin lebendig. Auch das Buch wirkt lebendig, nur der eine oder andere Exkurs in die zeitgenössischen Philosophiediskurse hätte etwas kürzer sein dürfen.

Der Originalbeitrag ist auf Poesierausch erschienen.

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